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Selbstverständnis von “#KeineMehr”-Leipzig

Die Gruppe “#KeineMehr”-Leipzig hat sich im April 2020 als Reaktion auf einen Femi(ni)zid1 im Leipziger Auwald gegründet. Wir sind eine Gruppe von Aktivist*innen, die auch über diesen konkreten Fall hinaus kontinuierlich zu Femi(ni)ziden arbeitet. Mit der Losung “Keine Mehr” schließen wir uns dem internationalen feministischen Kampf gegen Femi(ni)zide an (Ni Una Menos-Non Una Di Meno).

Wir sind vor allem in und um Leipzig aktiv und sind mit anderen “#KeineMehr”-Gruppen und feministischen Zusammenhängen in Deutschland vernetzt. “#KeineMehr Leipzig” ist kein Teil einer Dachorganisation, sondern einer Bewegung in welcher sich Gruppen unabhängig organisieren. Wir arbeiten kontinuierlich und unversöhnlich zur wohl schlimmsten Form patriarchaler Gewalt gegen Frauen und Personen, denen Weiblichkeit zugeschrieben wird. Gewalt, die immer noch als “Beziehungs-“, “Eifersuchts-” oder “Familiendrama” verharmlost wird.

Ein Femi(ni)zid ist kein Drama, sondern Mord. Und die Mörder sind weder tragische Gestalten noch bösartige Monster, sondern vor allem eins: Männer. Männer, die aus misogynen Motiven töten. Denn sie töten meist dann, wenn Frauen und weiblich gelesene Personen ihren vermeintlichen Pflichten Männern gegenüber nicht nachkommen und somit die an sie gestellten Rollenerwartungen nicht erfüllen. Diese Anspruchs- und Dominanzhaltung führt bis zum mörderischen Hass. Betroffen von diesem Hass sind Frauen gleichermaßen wie trans*-, inter- und nicht-binäre Personen, die in den Augen des Täters Weiblichkeit verkörpern. Denn das gemeinsame Motiv, das verbindende Moment lautet Misogynie.

Femi(ni)zide und die Männer, die sie begehen, begreifen wir deshalb nicht als Ausnahmen, sondern nur als Extreme einer patriarchalen Normalität. Denn es ist normal, dass Männlichkeit grundsätzlich krisenhaft ist und sich über die Dominanz gegenüber anderen Männern, aber vor allem Frauen abzusichern sucht. Normal, dass Männer Frauen für ihre eigene Unabhängigkeit brauchen und sie deshalb gleichzeitig begehren und verachten. Normal, dass die Selbstbestimmung von Frauen die Gewalt von Männern provoziert und normal, dass diese männliche Gewalt Verständnis erfährt.

Wir wissen, dass Staat und Recht die misogynen Morde nicht als Femi(ni)zide erfassen und Milde walten lassen, weil sie die sexistische Männergewalt verkennen. Stattdessen sehen wir das Mitgefühl der Presse für die Täter – zumindest wenn es weiße sind. Nur fremde Männer seien das Problem, lautet die übliche Erzählung. Doch wir lassen uns auf keine rassistischen Ablenkungsmanöver ein. Was so verschleiert wird, ist deshalb unser Ausgangspunkt: Diese Gesellschaft und ihre Männlichkeit sind das Problem und sie werden weiter mörderischen Hass auf Weiblichkeit und Abweichungen von Geschlechterrollen hervorbringen, bis wir sie überwunden haben.

Denn ja, wir kämpfen für mehr Geld und Strukturen im Gewaltschutz. Gegen sexistische Richter und Redakteure. Für mehr Selbstbestimmung von Frauen, trans*-, inter- und nicht-binären Personen und gegen patriarchale Vorstellungen von Beziehung, Sexualität und Liebe. Aber wir wissen, dass das allein nicht reichen wird. Unser Kampf gilt dem System und seinen Wurzeln.

Unsere Forderungen:

  • Keine sexistische Berichterstattung mehr! Über Femi(ni)zide muss ohne Täter-Opfer-Umkehr oder rassistische Auslagerungsversuche öffentlich aufgeklärt und diskutiert werden!
  • Kein Decken der Täter durch Polizei, Presse und Gerichte! Femi(ni)zide sind Morde und Hassverbrechen und müssen als solche behandelt werden!
  • Männlichkeit muss allgemein problematisiert werden! Männer müssen Verantwortung für die patriarchalen Zustände und die männliche Gewalt übernehmen, die von ihnen ausgeht oder von der sie mindestens profitieren!
  • Femi(ni)zide als Ausdruck von (struktureller) patriarchaler Gewalt begreifen und ernst nehmen!
  • Mehr Forschung und korrekte Statistiken zu Femi(ni)ziden! Vor allem die Erfassung von Femi(ni)ziden, die trans*-, inter- und nicht-binäre Personen beinhaltet und sie nicht, wie bislang, unsichtbar macht.
  • Ausweitung und Stärkung des institutionalisierten Gewaltschutz!
  • Feministische Selbstorganisation gegen patriarchale Gewalt! Auch neben und gegen den Staat!

Unsere Praxis:

  • Dokumentation und Veröffentlichungen von Femi(ni)ziden in und um Leipzig
  • Skandalisierung der Arbeit von Polizei, Presse und Gerichten z.B. in offenen Briefen
  • Aufklärung und Kritik an patriarchaler Gewalt in ihrem Zusammenhang mit Männlichkeit, Staat und Kapitalismus
  • Interventionen, Kundgebungen und Demos
  • Vernetzung mit anderen feministischen Gruppen und Netzwerken, die gegen männliche Gewalt und Femi(ni)zide kämpfen

Wir werden an die ermordeten FLINT*2-Personen erinnern, deren Namen und Geschichten nicht vergessen sein sollen. FLINT*-Personen die kämpfen, sind FLINT*-Personen die leben. Keine mehr! Ni Una Menos!


1 Mit Femizid (femicide) bezeichnet Diana Russel geschlechtsbasierte Morde von Männern an Frauen. Der Begriff wurde vor allem in der lateinamerikanischen Debatte aufgegriffen und weiterentwickelt. So zum Beispiel von Lagarde y de los Rios, die mit der Verwendung des Begriffs Feminizid (feminicidio) auf die staatliche Verantwortung hinweist. Beide Begriffe sind auch zentraler Ausgangspunkt sozialer Bewegungen. Wir haben uns entschieden, mit der Schreibweise Femi(ni)zid beide Begriffe aufzugreifen, um die Debatte und Diskussion um Begriffsbestimmung anzudeuten.

2 FLINT* steht für Frauen, Lesben, Inter-, Non-Binary und Trans*-Personen. Das * drückt aus, dass es nicht lediglich eine Trans-Identität gibt, sondern viele Trans-Identitäten.