Im Rahmen der Kundgebung “I don’t care if Monday’s blue” der Fantifa-Leipzig hielten wir einen Redebeitrag, den wir im folgenden dokumentieren:
“Die Coronakrise trifft uns alle”. Alle gesellschaftlichen Lebensbereiche bis auf die Lohnarbeit sind auf ein Minimum heruntergefahren worden. Während der Arbeitszeit scheint die Anzahl der Kontakte fast egal zu sein, außerhalb der Arbeitszeit gibt es nahezu nur noch zwei Orte in denen menschliches Zusammenleben erlaubt ist: die Kleinfamilie und monogame Partner*innenschaften. Die kapitalistische Öffentlichkeit läuft größtenteils weiter; Das Private muss ausgleichen. Schon im Normalzustand dieser Gesellschaft, soll das Private die Belastungen und Zumutungen auffangen, die in der Öffentlichkeit lauern. Dieses Versprechen war aber schon immer eine Lüge, denn vor allem für FLINT*, d.h. Frauen, Lesben, inter-, nichtbinäre und trans* Personen, ist das Private immer auch ein Ort der unbezahlten Arbeit und Gewalt.
Dazu ein paar Zahlen: Statistisch gesehen leisteten Frauen schon vor Corona ungefähr drei Mal so viel unbezahlte Sorgearbeit wie Männer, jede vierte Frau in Deutschland hat in der Corona-Krise ihre Arbeitszeit reduziert um KiTa und Schulschließungen auszugleichen. Laut Statistik wird alle 45 Minuten eine Frau durch aktuelle oder ehemalige Partner verletzt oder angegriffen. Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland eine Frau umzubringen, mit der er mal in Beziehung stand oder steht. Die strukturelle Dimension dieser Gewalt wird von Politik und Presse nicht ernst genommen. Erst seit kurzem gibt es überhaupt eine Statistik für sogenannten “Partnerschaftsgewalt” und die Zeitungen schreiben bei Tötungen gerne von “Eifersuchtstaten” und “Familiendramen”. Statt diesen Verharmlosungen müssen diese Morde als Femizid benannt werden, also als Tötung von weiblich gelesenen Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Entscheidend ist die misogyne Motivation der Tat und das Geschlechterverhältnis, das der Gewalt zugrunde liegt.
Femizide und die Männer, die sie begehen, müssen nicht als Ausnahmen, sondern nur als Extreme einer patriarchalen Normalität verstanden werden. Denn im Patriarchat ist es normal, dass Männlichkeit grundsätzlich krisenhaft ist und sich über die Dominanz gegenüber anderen Männern, aber vor allem FLINT*-Personen abzusichern sucht. Im Patriarchat ist es normal, dass Männer FLINT*-Personen für ihre eigene Unabhängigkeit brauchen und sie deshalb gleichzeitig begehren und verachten. Im Patriarchat ist es normal, dass die Selbstbestimmung von FLINT*s die Gewalt von Männern provoziert und es ist normal, dass diese männliche Gewalt Verständnis erfährt. Femizide stellen nur das Ende einer Reihe männlicher Gewalttaten gegen FLINT*-Personen dar, die von den Tätern als weiblich gelesen werden. Diese Gewalt hat System und deshalb muss dieses System verstanden und bekämpft werden!
Die Gruppe #keine-mehr Leipzig hat sich nach einem Femizid im Auwald gegründet, bei dem eine Frau, die mit ihrem Baby spazieren war, von ihrem Ex-Freund mitten am Tag angegriffen wurde. Seitdem sind wir zu dem Thema aktiv, dokumentieren und klären auf. Wenn wir gegen Femizide und männliche Gewalt kämpfen, sind wir nicht allein. Wir beziehen uns auf eine Welle großer feministischer Bewegungen, die sich in vielen Ländern seit einigen Jahren bilden und die männliche Gewalt, Fragen um sexuelle Selbstbestimmung und zu großen Teilen auch die patriarchalen Verhältnisse im Kapitalismus im Ganzen in den Blick nehmen. Ihren Ausgangspunkt fand diese Entwicklung 2015 in Argentinien unter der Forderung: ni una menos – nicht eine weniger.
Die Coronakrise hat die Bedingungen und die Realität von Femiziden noch mal zugespitzt. Weil alle mehr auf das Private zurückgeworfen sind, müssen vor allem FLINT*-Personen mehr Belastung und mehr Gewalt ertragen. Übliche Hilfestrukturen, wie Schule und Beratung sind gar nicht oder nur noch schwer zugänglich geworden. Gleichzeitig führt die Krise gerade Männern vor Augen, dass sie nicht so autonom und selbstmächtig sind, wie sie meinen zu sein. Für Männer ist die Pandemie vor allem eine Einbuße individueller Freiheit und Handlungsmacht. Männer, die sich ohnmächtig und abhängig fühlen, wandeln diese Emotionen oft in Hass auf Weiblichkeit und Gewalt gegen FLINT*s um. Deshalb sind männliche Krisenerfahrung für weiblich gelesene Menschen oft eine tödliche Gefahr.
“Jeden Tag versucht ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen. Jeden dritten Tag gelingt es“, dieser Satz hat sich bei vielen im Gedächtnis eingeschrieben und er ist erschreckend; Aber er stimmt nicht mehr. Feministische Aktivist:innen die Femizide dokumentieren weisen darauf hin, dass seit dem Beginn der Coronapandemie die Zahl der Fälle noch mal dramatisch gestiegen ist: Nicht jeden dritten, sondern jeden zweiten Tag tötet ein Mann in Deutschland aus misogynen Motiven. Alle zwei Tage ein Femizid.
Wir können diesen Zustand nicht länger hinnehmen! Wir brauchen besseren Gewaltschutz und mehr ökonomische, wie politische Unabhängigkeit von FLINTs*.
- Das heißt, dass wir eine akute aber auch beständige Ausweitung und Stärkung des institutionalisierten Gewaltschutz brauchen!
- Wir fordern das Ende sexistischer Berichterstattung! Über Femizide muss ohne Täter-Opfer-Umkehr öffentlich aufgeklärt und diskutiert werden!
- Einer rassistischen Vereinnahmung von Femiziden treten wir entschieden entgegen und fordern eine klare Benennung des Problems, nämlich Männlichkeit und ein patriarchales System, welches diese stützt.
- Polizei, Presse und Gerichte! Femizide sind Morde und Hassverbrechen und müssen als solche behandelt werden! Hört auf die Täter zu decken!
- Männlichkeit muss allgemein problematisiert werden! Männer müssen Verantwortung für die patriarchalen Zustände und die männliche Gewalt übernehmen, die von ihnen ausgeht oder von der sie mindestens profitieren!
- Es braucht zudem staatlich finanzierte aber unabhängige Stellen zur Dokumentation von männlicher Gewalt und Femiziden, die sich auch auf inter-, trans*- und nichtbinäre Personen bezieht.
Keine ist vergessen!
Es heißt Femizid!