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Redebeitrag Kundgebung: Gewaltschutz in Leipzig? Massiv in Gefahr!

05.07.2023
Liebe Mitarbeiterinnen der Gewaltschutzstrukturen in Leipzig, liebe Mitstreiter*innen, liebe Mithörenden:
Auf den Staat ist kein Verlass! 
Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland die Frau umzubringen, mit der er eine Beziehung führt oder geführt hat. Alle zwei bis drei Tage ist er dabei erfolgreich. Wir von KeineMehr-Leipzig haben seit 2011 fünfzehn solcher Femizide in Leipzig dokumentiert, also Morde an Frauen, die getötet wurden, weil sie in den Augen der männlichen Täter nicht den weiblichen Rollenerwartungen entsprochen haben. Überall auf der Welt wächst der Widerstand gegen männliche Gewalt, vor allem gegen Femizide. In Lateinamerka, wo es besonders viele misogyne Morde gibt und die Bewegung besonders stark ist, spricht man nicht von Femiziden, sondern FemiNIziden. Die Aktivistinnen wollen damit darauf hinweisen, dass es nicht allein die gewalttätigen Männer sind, die die Frauen auf dem Gewissen haben, sondern auch der Staat. Der Staat, der männliche Gewalt gar nicht oder nur desinteressiert verfolgt, der Staat, dessen Polizei und Richter die Täter oft sogar entschuldigen und schützen. Als Teil der Bewegung gegen Feminizide sind wir hier um noch mal in aller Deutlichkeit zu sagen: “El estado opresor es un macho violador”, Auch der deutsche Staat ist ein Machostaat, der unterdrückt, dessen Strukturen Gewalt ausüben und legitimieren: Deswegen müssen wir uns darüber im klaren werden: Auf den Staat ist kein Verlass!
Auf den Staat ist kein Verlass. Das erfuhr auch die autonome Frauenhausbewegung als sie in den 1970er Jahren die ersten Schutzeinrichtungen gründeten. Wenn der Staat überhaupt Geld in Gewaltschutz investierte, gab er es nicht den Organisationen, die eine patriarchale Gesellschaft anklagten und männliche Gewalt öffentlich machen wollten. Nicht den Feministinnen, nicht den Gruppen und Vereinen, in denen sich Frauen bestärken, empowern und organisieren wollten. Nein: Geld vom Staat gab es vor allem für Wohlfahrtsverbände, weil sie versprachen den Kapitalismus und die Kleinfamilie nicht zu kritisieren, sondern zu stabilisieren. Fast 50 Jahre später und es hat sich nichts Grundlegendes geändert. Der Schutz vor männlicher Gewalt ist immer wieder nur Elendsverwaltung und alle die daran etwas ändern wollen mussten und müssen immer wieder feststellen: Auf den Staat ist kein Verlass.
Wir sind heute hier, um mehr Unterstützung und Finanzierung von der Stadt Leipzig und dem Land Sachsen für Gewaltschutzstrukturen zu fordern. Das ist richtig und wichtig. Wir brauchen alle Ressourcen die wir kriegen können, um Frauen, Jugendliche und Kinder, aber auch Homosexuelle, Intergeschlechtliche und transgeschlechtliche Menschen, vor allem trans Frauen, die immer wieder durch die öffentlichen Netze fallen, vor patriarchaler Gewalt, vor männlicher Gewalt zu schützen. 
Wir haben also Forderung an diesen Staat, gleichzeitig sollten wir trotzdem auf die Vergangenheit und Gegenwart der feministischen Bewegung schauen und uns stets daran erinnern: Der Staat ist kein Verbündeter im Kampf gegen das Patriarchat, sondern ein zentraler Teil von ihm!
Es ist dieser Staat, der den Kapitalismus garantiert und aufrecht erhält. Ein zutiefst menschenfeindliches Gesellschaftssystem, in dem wir uns Liebe, Geborgenheit, Füreinander da sein, kurz: ein gutes Leben unter Menschen, in dem unsere Bedürfnisse im Zentrum stehen, oft nur noch im kleinen Kreis des Privaten, der Familie überhaupt noch vorstellen können. Es ist dieser Staat der mit dafür sorgt, dass dieses Versprechen auf ein gutes Leben ein patriarchaler Alptraum für vor allem Frauen wird: Denn sie sollen im Privaten, in der Familie unbezahlt für das Glück von anderen, vor allem für Männer arbeiten. Und es ist dieser Staat, der immer wieder wegsieht, wenn Männer mit Gewalt sicherstellen, dass Frauen dieser Rolle auch nachkommen. Dieser Staat, der duldet, wenn Männer Frauen dafür bestrafen, wenn sie sich nicht unterwerfen wollen. Es ist dieser Staat, der es immer wieder zulässt, dass Männer Frauen, die ein eigenes unabhängiges Leben führen wollen, ermorden.
Ja, wir wollen das Geld vom Staat, denn wir können es nutzen. Aber das, was wir brauchen, ist eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen männliche Gewalt, gegen die patriarchalen Zustände und kapitalistischen Strukturen, die diese Gewalt hervorbringen und benötigen, um weiterexistieren zu können. Und dafür gilt: Auf den Staat ist kein Verlass. Frauen, die Leben, sind Frauen die kämpfen. Ni Una Menos, Keine Mehr!