Hier dokumentieren wir die Mail an Frank Döring in Reaktion auf dessen Artikel “Leipziger Auwald-Mord: Tatverdächtiger bereits wegen Körperverletzung angeklagt” vom 27.05.2020. Die Mail ging zur Kenntnisnahme auch an die Lokalredaktion der Leipziger Volkszeitung (LVZ). Hierfür nutzten wir folgende Mailadressen: f.doering@lvz.de
sowie leipzig@lvz.de.
Guten Tag LVZ-Redaktion,
wir wollten Sie über unsere Kritik und das Unbehagen an dem von Frank Döring verfassten Artikel vom 27.05.20 zum Femizid am 08.04.20 in Leipzig informieren.
Wir denken, dass auch für Sie als Redaktion, dieser Kommentar aufschlussreich sein kann, insofern, als dass sich die bürgerliche Berichterstattung über Femizide durch fehlerhafte und unzulängliche Darstellungen und Analysen auszeichnet.
Dahingehend für Sie zur Kenntnisnahme:Hallo Frank Döring,
Sie berichten in Ihrem LVZ-Artikel “Leipziger Auwald-Mord: Tatverdächtiger bereits wegen Körperverletzung angeklagt” von dem im Zusammenhang mit dem Mord an einer Frau in Untersuchungshaft sitzenden Täter.
https://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Leipziger-Auwald-Mord-Tatverdaechtiger-bereits-wegen-Koerperverletzung-angeklagtDazu haben wir einige Anmerkungen. Erst einmal sollte dieser Mord in den Kontext männlicher Gewalt gegenüber Frauen eingeordnet werden und ist als Femizid zu bezeichnen: als Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. In Deutschland wird jeden Tag die Tötung einer Frau versucht. Jeden zweiten bis dritten Tag wird sie umgesetzt. Meist sind es (Ex-)Partner, die die Trennung bzw. die Selbstständigkeit der Frau nicht akzeptieren wollen. Die Herkunft des Täters spielt dabei keine Rolle.
Seit Jahren machen Feministinnen darauf aufmerksam, dass Begriffe wie der von Ihnen verwendete “Drama” den Mord privatisieren und die gesellschaftliche Dimension des Frauenmordes vertuschen. Wenn eine Frau ermordet wird, ist dies kein Einzelfall, sondern Resultat geschlechtsbasierter Gewalt. Die Gewalt an Frauen hat System.
Weiterhin legt Ihr Artikel einen Fokus auf den Täter und dessen Umfeld – auch das hat System. Der Mann hat seine Expartnerin über Jahre bedroht und gestalked, was schließlich in einem polizeilich erwirkten Näherungsverbot endete und dennoch einen Mord nicht verhindern konnte. Daraufhin rücken Sie das Umfeld des Täters und seine Unschuld in den Fokus. Täglich werden Frauen Opfer von Gewalt, häufig durch Ihre (Ex-)Partner. Täglich sind Frauen männlicher Gewalt ausgesetzt und täglich wird ihnen nicht geglaubt.Und wie reagieren Sie auf eine solche Tatsache? Sie stellen den Mann als unschuldig, überrascht und geächtet dar. Als “guten Mann”, der sich nun zu Unrecht behandelt fühlt. Dieser Mann hat eine Frau umgebracht, vorsätzlich und nach jahrelangem Drangsal. Ihre Berichterstattung verharmlost den Mord und schützt den Täter und trägt somit zum Status Quo der Geschlechtergewalt bei.
Was ist mit dem Umfeld der Betroffenen? Warum liegt ihr Interesse nicht hierauf? Weil Sie mit ihrem Artikel einen Täter schützen, weil Sie ein Narrativ des “guten Mannes” ohne psychische Auffälligkeiten kreieren, der zu einer solchen Tat nie im Stande gewesen sein könnte. Weil Sie Ihre Wahrheit erzählen. Weil sie Verständnis für den Mann erreichen wollen, für den wir kein Verständnis haben.
Die Frage nach dem Motiv möchten wir Ihnen abschließend beantworten: Das Motiv ist in der strukturellen Gewalt eines patriarchalen Geschlechterverhältnisses zu finden, das mit männlichem Besitzdenken und Dominanz einhergeht. Femizide stellen das Ende einer Reihe männlicher und geschlechtsbasierter Gewalttaten gegen Frauen, Trans*, Inter-, nichtbinären Personen und Kindern dar.
Darüber sollten Sie berichten, Herr Döring.
Wir trauern um alle ermordeten Frauen.
Einen gelungenen Artikel zum Femizid vom 08.04.2020 in Leipzig finden Sie hier:
https://jungle.world/artikel/2020/17/femizide-sind-kein-einzelfallWeitere Informationen unter keinemehr.wordpress.com
Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) hat einen Leitfaden für Journalist*innen erstellt, um das Thema Gewalt an Frauen und Kindern als gesamtgesellschaftliches Problem öffentlich zu machen, SEHR empfehlenswert:
http://www.gewaltfreileben.at/images/Bilder/PDFs/Interaktives_PDF_final_gewaltfrei_Verantwortungsvolle_Berichterstattung_A4_WEB.pdf#keinemehrleipzig