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Textbeitrag auf der Dokumentationsplattform chronik.LE

#keinemehr: Femizid in Connewitz

Gegen Mittag wird eine Frau durch ihren Ex-Freund im Parkplatzbereich an der Neuen Linie angegriffen und schwer verletzt. Die Frau ist mit ihrem drei Monate altem Kind spazieren, als der Mann sie attackiert und ihr schwerste Kopfverletzungen zufügt; das Kind bleibt unverletzt. Passant*innen alarmieren den Rettungsdienst sowie die Polizei, woraufhin die Frau in ein Krankenhaus eingeliefert wird.

Im Laufe des folgenden Tages stirbt die Frau an den ihr zugefügten Verletzungen im Krankenhaus. Am selben Tag geben die Ermittlungsbehörden bekannt, den gesuchten Mann festgenommen zu haben. Seither befindet er sich in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird wegen Mordes aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen ermittelt (Stand: 10.04.2020).

Bekannt ist bisher, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um den Ex-Freund der ermordeten Frau handelt, gegen den sie im Vorfeld bereits ein Annäherungsverbot erwirkt hatte, da dieser sie stalkte. Dieses Verbot wurde allerdings von staatlicher Seite nicht umgesetzt – der notwendige Schutz wurde nicht gewährleistet. Häufig müssen sich Frauen für Schutzmaßnahmen vor Behörden rechtfertigen oder werden nicht ernst genommen.

Es heißt Femizid!
Typischerweise wurde in der bisherigen Berichterstattung die Spezifik der Tat missachtet.¹ Statt ihren politischen und strukturellen Charakter aufzuzeigen, wurde der Migrationshintergrund des mutmaßlichen Täters angeführt. Dieses Vorgehen befeuert rassistische Instrumentalisierungen und verkennt das eigentliche Problem: nämlich dass männliche Gewalt die Ursache ist.

Die Tat muss als Femizid benannt werden, also als Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Entscheidend ist hier nicht die Herkunft des Täters, sondern die misogyne Motivation der Tat und das Geschlechterverhältnis, das dieser zugrunde liegt.

Mit den Bezeichnungen Eifersuchtsdrama oder Familientragödie geht eine Individualisierung, Privatisierung und Entpolitisierung des Problems einher. Der Begriff Femizid verweist dagegen auf die strukturelle Gewalt einer patriarchalen Geschlechterordnung, die männliches Besitzdenken und Dominanz hervorbringt. Femizide stellen somit das extreme Ende einer Reihe männlicher und geschlechtsbasierter Gewalttaten gegen Frauen, LGBTQI* und Kinder dar.

Zu den Zahlen und Problemen in den Statistiken
Der Femizid in Leipzig ist kein Einzelfall.² So gab es allein bis Mitte April 2020 mindestens 65 Frauenmorde in Deutschland.

In Deutschland kommt es nahezu täglich zu dem Versuch eines Mannes, seine (Ex)-Partnerin zu töten. 2018 zählte das Bundeskriminalamt (BKA) 324 Tötungsversuche, bei denen 122 Frauen starben. Statistisch gesehen, kommt es jeden Tag zu einem Mordversuch und an jedem dritten Tag zu einem Mord.

Durch den Druck von Frauenhäusern wird in Deutschland seit 2011 in der polizeilichen Kriminalstatistik die Zahl der Tötungen von Frauen in (Ex-)Partnerschaften erhoben. Seit 2015 wertet das Bundeskriminalamt diese Tötungen kriminalistisch aus und macht sie damit der Öffentlichkeit zugänglich. Die Zahl der versuchten Morde setzt sich dabei nur aus den Fällen zusammen, die tatsächlich zu einer Anzeige gebracht wurden. Alle versuchten Tötungen, die nicht als solche wahrgenommen oder angezeigt wurden, fehlen in den Statistiken. Die zentrale Informationsstelle der Frauenhäuser geht daher von einer hohen Dunkelziffer aus.

Die Statistiken lassen zudem viele Punkte offen: Die Tötungen, die außerhalb von Beziehung stattfanden, bleiben unberücksichtigt. So tauchen (versuchte) Femizide von Männern in den Statistiken nicht auf, die sich in keiner Partnerschaft mit der Frau – mit der sie sich vergeblich eine Beziehung erhofften bzw. deren vermeintliche Liebe unerwidert blieb – befanden. Ebenso wenig berücksichtigt werden (versuchte) Femizide von Vätern oder Brüdern gegenüber ihren Töchtern bzw. Schwestern. Es gibt keine Zahlen zum so genannten erweiterten Suizid, wenn also ein Mann sowohl seine Frau wie auch die vorhandenen Kinder tötet. Unberücksichtigt bleiben im Weiteren “Trans*frauen […], die der Kategorie ‘männliche Opfer’ zugeteilt [und damit] in dieser Statistik unsichtbar gemacht werden” sowie “Tötungsversuche, die nicht als solche verurteilt wurden, sondern nur unter ‘schwerer Körperverletzung’ geführt werden.”

Es lässt sich zusammenfassen, dass differenzierte Datenerhebungen bislang fehlen und die BKA-Statistiken vollkommen ungenügend sind. Die Erfassung der Tötungen erfolgt nach dem Schema der Paarbeziehungen, wodurch die Morde erneut als privat klassifiziert und einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang entrissen werden. Der Begriff des Femizids als Kategorie könnte dies verändern, indem das gesellschaftliche Moment anstelle einer Darstellung als “Beziehungstragödie” herausgestellt werden würde. Sogenannte häusliche Gewalt müsste, gleichwie die zumeist männlichen Täter, im Rahmen geschlechtsbasierter Gewalt verortet werden.

Mehr zu Femiziden und Misogynie ist nachzulesen im Artikel “Einzelfall, tragisches Schicksal oder selbst Schuld? Frauenmorde und ihre rassistische Verwertung” (S. 40-42) von Naomi Shibata und Lena Kirsch in der 2019er Ausgabe der »Leipziger Zustände«.


¹ Hier können Medien durch eine sensible Berichterstattung helfen, das Thema Femizide mehr in das Bild der Öffentlichkeit zu rücken.

² Die Sichtbarmachung von Femiziden findet nur selten statt. Sie ist jedoch notwendig, um das Problem der Gewalt gegen Frauen sowie die ihr zugrundeliegenden Symptome bekämpfen zu können. Auf Zeit-Online haben die Journalist*innen Elisabeth Raether und Michael Schlegel den Artikel “Von ihren Männern getötet” veröffentlicht, der alle Femizide, die 2018 stattfanden, dokumentiert. 2018 wurden 122 Frauen von ihren (Ex-)Partnern oder Ex-Partnern ermordet wurden.