Sehr geehrte Redaktion der LVZ, Sehr geehrter Herr Döring,
am 27. Dezember 2021 wurde Dorin V. in ihrer Wohnung von einem Mann ermordet. In Deutschland geschieht eine solche Tat jeden zweiten bis dritten Tag. Wir bezeichnen diese Morde als Feminizide und sind immer wieder über die gängige Berichterstattung erschrocken.
Wir freuen uns, dass unsere letzte diesbezügliche Kritik der LVZ zu Veränderungen geführt hat. Dennoch haben wir zu der Berichterstattung zum Feminizid an Dorin V. einige Anmerkungen, die wir gerne mit Ihnen teilen würden und beziehen uns dabei maßgeblich auf die Artikel vom 30.05.2022 und 03.06.2022.
Der Titel des Artikels vom 30.05.2022 ist insofern gelungen, da er die Tat eindeutig als Mord bezeichnet und auch wenn der erste Satz etwas reißerisch anmutet, entstammt er ja nicht ihrer Feder, sondern der der Staatsanwaltschaft. Wir stellen uns jedoch die Frage, ob das Tatmotiv der ausbleibenden Beziehung ebenfalls der Anklageschrift entnommen wurde? Schließlich wirkt dieser Satz wie eine Erklärung für den Mord, die jedoch nur die Täterperspektive berücksichtigt. Auch die Beschreibung des Verhältnisses von Täter und Ermorderter als “Beziehung” wird hier ungefiltert aus der Perspektive des Täters geschildert und führt uns zu der Frage, ob das Kennenlernen der beiden schon als Beziehung zu werten ist. Solche Formulierungen ermöglichen es leider, Assoziationen zu dem viel zitierten Begriff der “Beziehungstat” zu wecken. Hier wiederum wäre darauf zu verweisen, dass es sich bei der Idee, eine Frau müsste dafür bestraft werden, dass sie keine Beziehung zu einem Mann will um die Zuspitzung einer weit verbreiteten Männlichkeitsvorstellung ist, in der Männer qua Geschlecht Anrecht auf Frauen haben. Die Konsequenzen, die sich für Frauen daraus ergeben sind keine Einzelfälle, sondern strukturelles Problem einer männlich dominierten Gesellschaft. Hier bedarf es einer kritischen Einordnung des Motivs des Täters.
Kommen wir zurück zu der Berichterstattung:
Diese Idee einer berechtigten männlichen Anspruchshaltung wird gestützt, in dem die Frage, warum Dorin V. Markus W. die Tür öffnete mit der Aussage verknüpft wird, dass sie ja bereits erneut liiert sei. Soll die Schlussfolgerung hierbei sein, dass eine liierte Frau keine (Ex-)Männer zu empfangen habe?
Keinen Raum bekommt das Leben und die Geschichte der ermorderten Frau. Stattdessen verlieren Sie sich in irrelevanten Ausschmückungen auf ihren Kosten. Welchen Gehalt hat eine Aussage wie “die blonde Lindenauerin”? Welche Relevanz hat es, dass sie Rotwein getrunken hat?
Im Gegensatz zur ermordeten Frau, wird der Mann über seinen Beruf definiert. Diese geschlechtsstereotype Unterteilung (Frau = blond, Mann = Maler) ist per se überholt und kritisch zu betrachten, gleichzeitig verschleiert hier die Hervorhebung des sozioökonomischen Status des Täters, dass Feminizide Alltag in unserer Gesellschaft sind und unabhängig von der sozioökonomischen oder auch ethnischen Herkunft der Täter geschehen.
Erst am Ende des Artikels wird darauf eingegangen, dass Markus W. Dorin V. beschattet haben soll und bereits Monate vor der Tat zu Morden recherchierte. Hier stellen sich wichtige Fragen. Seit wann war das bekannt? Vor der Tat oder erst danach? Hatte Dorin V. bereits versucht rechtlich gegen Markus W.s Verhalten vorzugehen? Hatte sie Angst? Wieso wurde Markus W. sofort als Tatverdächtiger festgenommen? Hier wäre in unseren Augen ein tagesaktueller journalistischer Kommentar interessant. Beispielsweise welche reale Gefahr in Deutschland von Männern ausgeht. Dass jeden Tag ein Mordversuch an einer (Ex)Partner*in verübt wird und jeden zweiten oder dritten Tag gelingt. Dieses Thema erlangte seit Beginn der Corona- Pandemie besondere Aufmerksamkeit, ein Verweis auf das Phänomen partnerschaftliche Gewalt oder Feminizide wäre also einerseits naheliegend (ohne einen nennenswerten Mehraufwand an Recherchearbeit) und andererseits politisch aktuell.
Wichtig wäre an der Stelle auch den Umgang der Sicherheitsbehörden mit der (seit wann bekannten?) Bedrohungssituation für Dorin V. kritisch zu hinterfragen. Hatte sie mit anderen Menschen, vor allem Behörden über das Beobachten und Nachstellen durch Markus W. gesprochen? Wurde sie ernst genommen? Handelt es sich hier auch um ein gesellschaftliches und polizeiliches Versagen? Gab es Ermittlungen? Wird dieses Thema generell ernst genommen? Oder werden Täter durch das Verkennen der strukturellen Komponente nach wie vor geschützt? Zu denken gibt hier der Mord an einer 53-jährigen Frau von ihrem Ex-Partner im nordhessischen Schwalmstadt im Juni diesen Jahres, um nur ein Beispiel zu nennen. Die taz-Journalistin Carolina Schwarz berichtete über das Versagen der Behörden: “Am Vorabend der Tötung hatte es schon einen Polizeieinsatz bei der Frau gegeben, gegen den 58-Jährigen wurde ein Platzverweis ausgesprochen. Am nächsten Morgen zeigt die Frau ihren Ex-Freund wegen Körperverletzung, Nötigung und Nachstellung an. Die Polizei sieht zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Gefährdungslage für die Frau. Wenige Stunden später ist sie tot” (https://taz.de/Nach-Femizid-in-Nordhessen/!5856897/). Es ist die Aufgabe guter journalistischer Arbeit hier auf strukturelle Probleme im Umgang mit Gewalt an Frauen zu verweisen und die genannten Fragen zu stellen.
Das verbindende Element der Fälle ist eine Anspruchshaltung von Männern auf Frauen beziehungsweise ihre (Ex-) Partnerinnen.
Der Artikel, den Sie nur wenige Tage später veröffentlichten, enthält leider nur wenig neue prozessrelevante oder ermittlungstechnische Informationen, bietet uns jedoch Anlass zu einer weiteren Kritik und dient uns als Überleitung für ein zentrales Anliegen bezüglich der Berichterstattung zu Feminiziden. Als erstes, der Titel “Rache-Mord nach Online-Date”: Das Wort Rache impliziert dass es eine affektvolle Tat war, die auf einem Fehlverhalten der Ermordeten fußt, etwas für das sich gerächt werden muss. Damit wird die Perspektive des Täters eingenommen.
Problematisch sind auch reißerische Formulierungen wie “eiskalt erwürgen”, insbesondere im Kontrast zu verharmlosenden Passivkostruktionen, hinter denen die Tat beinahe verschwindet: “die Beziehung endete tödlich” statt “er ermordete sie”.
Im Verständnis und im Umgang mit männlicher Gewalt gegen Frauen spielt die mediale Berichterstattung eine große Rolle und damit tragen Sie Verantwortung. Sie sollten männliche Gewalt als solche benennen! Sie sollten Empathie für die Opfer, statt die Täter schaffen! Sie sollten in Ihren Artikeln Anlaufstellen für Betroffene nennen! Sie sollten respektvoll und mit einem echten analytischen Interesse zu diesen Fällen recherchieren!
Wir trauern und gedenken Dorin V.
und den anderen zwölf getöteten Leipziger Frauen
Es heißt Feminizid.
Keine Mehr Leipzig