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Redebeitrag zur Kundgebung “Feminizide stoppen – patriarchale Gewalt bekämpfen! Kundgebung für eine ermordete Frau im Leipziger Osten” am 15.03.2021

Im Rahmen der Kundgebung “Feminizide stoppen – patriarchale Gewalt bekämpfen! Kundgebung für eine ermordete Frau im Leipziger Ostenhielten wir einen Redebeitrag, den wir im folgenden dokumentieren:

Nach dem Femizid am 8. April im Leipziger Auwald haben wir uns unter dem Namen #keinemehr zusammengeschlossen – damit schließen wir uns unseren Freund*innen aus Berlin und anderen Städten an. Wir sind eine Gruppe von Aktivist*innen, die auch über diesen konkreten Fall hinaus kontinuierlich zu Femiziden arbeiten. Wir organisieren uns gegen Femizide und männliche Gewalt, dokumentieren Vorfälle, und wollen damit politisieren und Sichtbarkeit schaffen. Wir wollen die strukturelle Ebene cis-männlicher und patriarchaler Gewalt aufzeigen und die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren. Mit der Losung “Keine Mehr” schließen wir uns auch dem internationalen feministischen Kampf gegen Femizide an.

Femizide sind die wohl schlimmste Form patriarchaler Gewalt gegen Frauen und Personen, denen Weiblichkeit zugeschrieben wird – eine Kette, die von sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit, Stalking, häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, eben bis hin zum Mord reicht. Aktuelle Statistiken sprechen davon, dass jeden Tag ein Mann versucht, “seine” Partnerin oder Ex-Partnerin umzubringen. Jeden zweiten bis dritten Tag gelingt es ihm. Diese Gewalt wird vor allem medial immer noch als “Beziehungs-“, “Eifersuchts-” oder “Familiendrama” verharmlost. Außerdem werden in der Statistik nur Frauen und Männer berücksichtigt, was eine Unsichtbarmachung der Gewalt gegenüber trans*, inter* und nicht-binären Personen bedeutet, die ebenso aus misogynen Motiven Gewalt erfahren.

Vor allem Situationen, die eine Zuspitzung der krisenhaften Männlichkeit darstellen, wie Trennung, Schwangerschaft, die Aufnahme eines neuen Jobs oder der Aufstieg im Job oder das Streben nach Unabhängigkeit stellen für weibliche Personen, die in Beziehungen mit Männern sind, eine erhöhte Gefahr dar, denn zwei Drittel der statistisch erfassten Femizide werden während oder nach der Trennung begangen. Die weltweit am häufigsten auftretende Form von Femiziden sind Tötungen innerhalb von Partnerschaften.

Ein Femizid ist kein Drama, sondern Mord. Und die Mörder sind weder tragische Gestalten noch bösartige Monster, sondern vor allem eins: cis-Männer. Männer, die aus misogynen Motiven töten. Denn sie töten meist dann, wenn weiblich gelesene Personen ihren vermeintlichen Pflichten Männern gegenüber nicht nachkommen und somit die an sie gestellten Rollenerwartungen nicht erfüllen. Diese Anspruchs- und Dominanzhaltung führt bis zum mörderischen Hass. Betroffen von diesem Hass sind Frauen, trans*-, inter- und nicht-binäre Personen, die in den Augen des Täters Weiblichkeit verkörpern. Denn das gemeinsame Motiv, das verbindende Moment lautet Misogynie, also der Hass gegenüber dem Weiblichen. Dabei stützt das Geschlechterverhältnis diese Gewalt, da es eine Dominanz des Männlichen über das Weibliche quasi beinhaltet, gleichwie die Binarität zweier Geschlechter, nämlich Mann und Frau, die einander begehren. Diese Logik sowie die patriarchale Rechtsprechung und mediale Berichterstattung über Femizide und männliche Gewalt, die oft verharmlost, rassistisch und klassistisch ist, muss skandalisiert werden!

Für Frauen, inter*, trans* und nichtbinäre Personen, denen es an finanziellen Ressourcen fehlt, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, die kein deutsch sprechen, die konsumieren, die prekäre Jobs haben, die im Alltag behindert werden, die in finanzieller o.ä. Abhängigkeit von Männern leben oder arbeiten, ist es deutlich schwerer sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu lösen – sie sind einem noch größerem Risiko ausgesetzt Gewalt durch Männer zu erfahren. Durch die Corona-Krise spitzt sich diese Situation noch einmal zu. Viele Beratungsangebote sind schwerer zu erreichen, die Kontaktaufnahme ist schwerer möglich, da das alltägliche Leben hauptsächlich zu Hause stattfindet. Diese Situation wiederum trägt erneut ein Gewaltrisiko mit sich – nicht nur für Betroffene sondern auch für Kinder. Auch Menschen, deren Lebensentwurf nicht der heterosexuellen Norm entspricht, sind durch Corona erneuter Gewalt ausgesetzt. Gerade queere Menschen haben häufig mit ihren Herkunftsfamilien gebrochen, ihre Wahlfamilien werden vom Gesetzgeber nicht anerkannt. Alle gesellschaftlichen Lebensbereiche bis auf die Lohnarbeit sind auf ein Minimum herunterfahren worden. Kleinfamilie und Partner*innenschaften im Privaten sind die einzig noch erlaubten Orte des menschlichen Zusammenlebens außerhalb der Arbeitszeit. Doch die “heilige” Familie ist für viele Menschen kein Ort des Rückzugs und der liebevollen Umsorgung, sondern ein Ort der Ausgrenzung und der Gewalt.

Was wir brauchen ist eine engagierte feministische Aufklärung und Bewusstmachung. Eine Analyse struktureller Gewalt und deren Konsequenzen. Es braucht mehr Reflexion über das Handeln in Partner*innenschaften, zwischenmenschlichen Beziehungen und im öffentlichen Raum. Mehr Aufmerksamkeit für die Menschen, welche durch Verhältnisse nahezu unsichtbar im alltäglichen Leben sind. Mehr Aufmerksamkeit für Gewalt, die tagtäglich passiert, in unseren Freund*innenkreisen, in unserer Nachbar*innenschaft, auf der Straße, in Unterkünften, in WGs – diese Orte sind nicht privat!

Mit diesem Bewusstsein können wir es schaffen, uns zu solidarisieren und als laute und starke Bewegung den Staat und die Öffentlichkeit unter Druck zu setzen. Unsere Aufgabe ist es, Femizide aus dem Privaten zu holen! Mit diesem Anspruch sind wir nicht allein! Wir beziehen uns auf eine Welle großer feministischer Bewegungen, die in den letzten Jahren weltweit aktiv geworden sind, um sich patriarchalischen Verhältnissen im Kapitalismus zu widersetzen und Forderungen auf die Straße zu tragen! Lasst uns gemeinsam gegen männliche Gewalt und männliche Dominanz, die Zugriffe auf unsere Körper und unsere Selbstbestimmung und für ein Leben kämpfen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse von Kapitalismus und Patriarchat überwindet! 

Keine ist vergessen!

Es heißt Femizid!